Jungenbeschneidung

Beschneidungsverbot vs. Religionsfreiheit?   

BeitragVerfasst: Sa 14. Jul 2012, 18:20 von redaktion

Hätten mich meine Eltern gefragt, hätte ich vielleicht "Ja" gesagt, aber würde ich heute gefragt, so wäre meine Antwort: Nein.
Das ist kein Groll, zumal verschmerzt, sondern Verständnis, aber Missbilligung, die wenig bewegt, solange die Stimmen der Betroffenen schweigen, als ginge es darum, die eigenen Eltern strafrechtlicher Ungnade auszusetzen, denn auch das wäre dem Kindeswohl abträglich und im Vergleich zur Mädchenbeschneidung noch weniger verhältnismäßig - je nach Kulturkreis, denn der Mehrheit gebührt Respekt, sofern sie sich um Respekt gegenüber Minderheiten müht, worauf in zivilisierten Gesellschaften zu achten ist.
Falls aus Gründen solchen Respekts demnächst die oberste Justiz oder der Gesetzgeber die Beschneidung ausdrücklich legalisiert, so erübrigt das nicht den Streit, denn das Elternrecht soll das Kindesrecht auf körperliche Unversehrtheit achten und die Religionsfreiheit soll dem Kinde nicht vorgreifen dürfen.
"Es geht niemanden an", wäre unzivilisiert, denn es geht immer alle an, wenn mit Menschen wehrlosen Menschen tun, wie es eben den Kindern geschieht, sicherlich "gut gemeint", aber "schlecht überlegt".

Markus Rabanus

Heftige Reaktionen auf Kölner Beschneidungs-Urteil

BeitragVerfasst: So 15. Jul 2012, 11:39 von wikinews

wikinews.de berichtet: Heftige Reaktionen auf Kölner Urteil zur Strafbarkeit von Beschneidungen

Berlin (Deutschland), 14.07.2012 – Jüdische, muslimische und christliche Organisationen üben scharfe Kritik am Kölner Urteil, das Beschneidungen an Kindern aus religiösen Gründen als Straftat sieht. Deutsche Politiker wollen zügig eine Gesetzesgrundlage schaffen, um das religiöse Ritual in Deutschland zu erlauben, Rechtssicherheit für diejenigen schaffen, die jetzt Gefahr laufen wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt zu werden. Onlinekommentare aus der Bevölkerung zeigen wenig bis kein Verständnis für die vorsätzliche Verletzung von Kindern.

Stellungnahme von Religionsgemeinschaften:

Die Konferenz Europäischer Rabbiner kritisiert das Urteil als schwersten Angriff auf das Judentum seit Jahrzehnten in Deutschland. Der Moskauer Rabbiner Pinchas Goldschmidt erklärte: „Ein Verbot der Beschneidung stellt die Existenz der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland infrage. Sollte das Urteil Bestand haben, sehe ich für die Juden in Deutschland keine Zukunft.“ Er sieht ein gesamteuropäisches Problem in mangelnder Toleranz gegen die Religion und führte dazu das Burka-Verbot in Frankreich, das Verbot des Minarettbaus in der Schweiz und Bestrebungen in den Niederlanden, das Schächten zu verbieten, an. Deutschland müsse bei so einer Entscheidung auch die eigene Geschichte bedenken. Zentralratspräsident Graumann sagte gegenüber der Zeitschrift Focus: „Die Liebe zu Kindern ist in der jüdischen Religion sehr tief verwurzelt. Jüdische Väter und Mütter gehen für ihre Kinder durchs Feuer.“ Deshalb treffe ihn die Unterstellung, Kindern werde durch die Beschneidung unnötiges Leid zugefügt. Der Koordinationsrat der Muslime (KRM) wertete den Richterspruch als einen Rückschlag bei der Integration von Muslimen. Im Islam ist die Beschneidung eine Empfehlung und kein religiöses Gebot wie im jüdischen Glauben.
Durch den Dortmunder Rabbiner Avichai Apel wurde die Gründung eines deutschen Verbands für alle professionellen jüdischen Beschneider angekündigt, dieser solle die religiöse Qualität und die medizinische Sorgfalt bei der Beschneidung garantieren. Die Beschneidung symbolisiert im Judentum den Bund zwischen Gott und Abraham und stellt den Eintritt in die jüdische Gemeinschaft dar. Das Ritual wird aus der Bibel abgeleitet: „beschnitten soll euch jeder Männliche werden“ (Gen. 17, 10), „Und zwar acht Tage alt soll euch jedes Männliche beschnitten werden“ (Gen. 17, 12).

Stellungnahmen von Politikern:

Die Bundesregierung hat nach dem Urteil angekündigt, die Beschneidung in Deutschland straffrei halten zu wollen. Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte: „verantwortungsvoll durchgeführte Beschneidungen" müssten in Deutschland straffrei möglich sein. Es bereitet uns Sorge, dass die Ausübung dieser uralten religiösen Bräuche sich derzeit nicht in einer Situation des Rechtsfriedens befindet.“ CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe ergänzte: „Gerade im Hinblick auf einen verantwortungsvollen Vollzug dieser Rituale durch Ärzte muss es schnellstmöglich Rechtssicherheit geben. Die Möglichkeit einer gesetzlichen Klarstellung muss zügig geprüft werden.“ Unionsfraktionschef Volker Kauder will eine fraktionsübergreifende Resolution im Bundestag in der kommenden Woche verabschieden: „Jüdisches und muslimisches Leben muss auch in Zukunft in Deutschland möglich sein. Dazu gehört auch die auf der religiösen Überzeugung beruhende Beschneidung von Knaben“. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) glaubt nicht daran, dass es möglich ist, kurzfristig in der Frage der Beschneidung Rechtssicherheit zu schaffen: „Zu einem Rechtsstaat gehört auch, dass durch Einzelfallentscheidungen von Gerichten aufgetretene Rechtsunsicherheiten nicht von heute auf morgen beseitigt werden können. Das gilt sowohl für die Herausbildung einer einheitlichen bindenden Rechtsprechung als auch für die Neuregelung durch den Gesetzgeber.“ Außenminister Guido Westerwelle mahnte den Respekt vor religiösen Traditionen an. Sozialdemokraten und GRÜNE wollen ein Gesetz, das die Beschneidung von Jungen in Deutschland aus religiösen Gründen erlaubt. In dieser Richtung äußerte sich auch der SPD-Parteivorsitzender Sigmar Gabriel.

Rituelle Beschneidung eines Knaben:

Pressestimmen: Nach einem Bericht der Financial Times Deutschland gibt es bei den Leitartikeln der Presse unterschiedliche Stimmen. So schreibt die Westdeutsche Zeitung (Düsseldorf): „Zunächst einmal ist es erfreulich, dass in unserem Land genau hingeschaut wird, wenn der Verdacht aufkommt, das Wohl eines Kindes könnte beeinträchtigt sein.“ Ferner zitiert das Blatt den Düsseldorfer Psychoanalytiker Matthias Franz, nach dessen Ansicht die Operation im Säuglings- oder Kindesalter ein traumatisches Erlebnis darstellen und zu andauerndem körperlichen, sexuellen oder psychischen Leiden führen könne.
Die Frankfurter Rundschau kommentiert: „Die Beschneidung - mag sie nun medizinisch sinnvoll sein oder nicht - ist ein geringfügiger körperlicher Eingriff, ihr strafrechtliches Verbot aber würde den Lebensnerv sowohl der jüdischen als auch der muslimischen Glaubensgemeinschaft treffen. In keinem Land der Welt ist die Beschneidung verboten. Die Ankündigung der Bundesregierung, ihre Zulässigkeit gesetzlich zu bestätigen, ist beruhigend.“
Bild Rituelle Beschneidung eines Knaben (wikinews.de)

Kritik an den Kritikern der Beschneidungsstrafbarkeit

BeitragVerfasst: So 15. Jul 2012, 15:39 von redaktion

Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Zugunsten der Beschneidungserlaubnis kann allenfalls vorgebracht werden, dass die tatsächliche und nachträgliche Einwilligung der vielen Betroffenen ausreichen solle, denn die Kritik als Schweigensbruch aus Betroffenenkreisen hat Seltenheit und die Schmerzbeschreibung wird von zu vielen Betroffenen bestritten - und zwar aufrichtig, zumal der Mensch vergesslich ist und es oft an simpelster Überlegung fehlen lässt, wie sie denn darüber denken würden, wenn die Religion da quasi zum Nachweis der Ernsthaftigkeit verlangen würde, dass im Alter von 18 oder 32 Jahren da noch einmal ein halber Millimeter nachgekürzt werden müsste.

Aber solch zeitgeistige Kompromissformel in irgendeiner Weise zu beschönigen, ist ethisch unhaltbar. Beispiele:

Die Frankfurter Rundschau kommentiert: „Die Beschneidung - mag sie nun medizinisch sinnvoll sein oder nicht - ist ein geringfügiger körperlicher Eingriff, .."
Dem Autor empfehle ich, sich der Prozedur zu unterziehen, um beurteilen zu können, ob der Eingriff "geringfügig" ist, wenn die Betäubung nachlässt. Zumal an einem der empfindlichsten Körperstellen überhaupt, mit wochenlangen Schmerzen nicht nur beim Urinieren, weil die Wunde schlecht heilt, die zumeist medizinisch betreut werden muss, um die Wundhygiene zu gewährleisten, denn "einfach mal waschen" ist dann eben nicht.

Solche Kommentare dienen dem Frieden zwischen einem dem Kindeswohl verpflichteten Staat mit den Religionsgemeinschaften, aber es ist ein unheiliger Frieden, weil einen religiösen Ritus verharmlosend.

Einige Vertreter jüdischer Organisationen sehen die Urteile in antisemitischer Tradition - und tatsächlich sind Beschneidung und Schächten Hobbythemen von Antisemiten und Antiislamisten, die sich als Kindeswohlschützer und Islamkritiker aufspielen, aber deren Themen-Instrumentalisierung rechtfertigt das Schönreden der Beschneidung nicht.

Viele Vertreter religiöser Vereinigungen verweisen darauf, dass es sich um eine Jahrtausende überdauernde Tradition handelt, die von mehr als einer Milliarde Menschen praktiziert wird - und das ist politisch und wird auch juristisch ausschlaggebend sein, aber moralisch bemisst sich der Wert einer Tradition nicht nach deren Beständigkeitkeit und auch nicht nach ihrer Verbreitung, sondern einzig danach, was ihr sittlicher Nutzen in Abwägung beteiligter Interessen ist.

Zum religiösen Nutzen der Bescheidung wird vorgetragen, dass sie religiöses Gebot sei, aber so wenig es heute in den meisten Ländern der Erde zulässig ist, Frauen wegen Ehebruchs zu steinigen, weil mit dem Zeitgeist früherer Jahrtausende eben doch vernünftiger Weise gebrochen wird, so war das Verständnis religiöser Gebote schon immer im Wandel auch schon in den Zeiträumen der Entstehung religiöser Schriften.
Religiösen Menschen die Widersprüche ihrer Quellen zu zitieren, erübrigt sich, sofern sie denn ihre Quellen überhaupt kennen, nicht bloß selektiv vorlesen lassen - und auch die Gebote zur Mäßigung ernst nehmen, dass die Ritualisierungen dem Wohlhandeln stets nachzuordnen sind.

Vielfach wird auch mit dem hygienischen Nutzen der Beschneidung argumentiert, aber von Beschneidungen mit ausschließlich hygienischer Motivation ist mir kein einziger Fall bekannt, so dass die Hygiene als vorgeschobenes Argument gelten kann, um die religiös motivierte Beschneidung zusätzlich zu stützen.

Einzig die medizinische Rechtfertigung wegen einer Fimose erscheint tragfähig, sofern die Fimose tatsächlich korrekt diagnostiziert wird und nicht bloß vorpubertäres Erscheinungsbild ist.

Die Beschneidung auf Geheiß der Eltern als Ausdruck der Religionsfreiheit scheidet aus, da der Religionsfreiheit des Kindes vorgegriffen wird.

Die Beschneidung als Ausdruck des Elternrechts scheidet aus, da sich Eltern zwar ihrer Kinder erfreuen sollen, aber in all ihrem Tun dem Kindeswohl verpflichtet sind.

Einige Kommentare verweisen darauf, dass solch Debatte nach Auschwitz "nicht ausgerechnet in Deutschland" zu führen sei, aber Opportunismus in ethischen Fragen ist eine der zahlreichen Varianten falscher Aufarbeitung der Massenverbrechen, setzt den Ungeist eines rassistischen Konformismus als Ungeist eines Gleichgültigkeitskonformismus fort und kann ethisch nicht bestehen.

Trotzdem sei die Kompromissformel wiederholt, weil meinerseits nun recht vieles gegen die Beschneidung vorgetragen ist: Ein Beschneidungsverbot scheitert mir an der hohen Akzeptanz, die solch elterliche Religionsausübung bei den betroffenen Kindern auch in deren Erwachsenenalter genießt, mit Ausnahme meiner Wenigkeit und dennoch in Liebe zu meinen Eltern.

Ohne diese Schlussformel will ich nicht namentlich zitiert werden, denn der Gedankengang hat Bestandteile unterschiedlichen Gewichts, die ohne die Schlussformel aus ihrer Relation gebracht, also falsch zitiert wären.

Markus S. Rabanus 

Dialog statt Kulturkampf

BeitragVerfasst: So 15. Jul 2012, 17:10  von redaktion

@Christoph M., ich sehe es wie Sie, aber wenn es die Betroffenen gutheißen, mit Ausnahme meiner Wenigkeit (und ohne meinen Eltern zu grollen), dann macht es wenig Sinn und keinen Frieden, sich in unbestellter Verteidigung zu üben, zumal sich ausschließlich später Beschnittene überhaupt des Dramas erinnern dürften und sich vielleicht einbilden, ihren eigenen Neugeborenen die Schmerzen weglächeln zu können.
Die Beschneidung ist das schmerzlichste Gewohnheitsrecht der Religionen in der Europäischen Union und hat nur Bestand, solange dazu in den Gemeinden kollektiv geschwiegen wird, denn kein einziges vermeintlich "grundlegendes" Glaubensgebot konnte jemals humanitär zum Wandel gebracht werden, wenn die Betroffenen nicht wenigstens in relevanter Größenordnung mitwirkten, sei es das Scheidungsrecht, sei es die Gleichberechtigung und vieles andere, während jede "Befreiung" gegen die Überzeugung der Betroffenen zum undemokratischen Verbrechen wurde oder aber von vornherein bloß Kulturkampf oder rassistisch motiviert war.

MfG Markus Rabanus

Beschneidungsdebatte im SPD-Christen-Facebook

BeitragVerfasst: So 15. Jul 2012, 18:09  von redaktion

Das Kölner Urteil halte ich für "gut gemeint" und entgegen aller Urteilsschelte für vereinbar mit der Religionsfreiheit und dem Elternrecht, denn die Beschneidung greift der Religionsfreiheit des Kindes irreparabel vor und das Elternrecht steht unter dem Vorbehalt des Kindeswohls.
Trotzdem ist das Urteil politisch und somit auch rechtlich falsch, weil die Kriminalisierung der Beschneidung kein Sinn macht, solange nahezu kein Betroffener solche Kriminalisierung verlangt. So auch ich nicht, sondern überfälliges Umdenken im Wege des Dialogs.
Das Urteil ist also falsch und dennoch gut, sofern es schnell genug aufgehoben wird, aber dann einen seriösen Dialog in Gang gebracht haben sollte, der den Wandel auch in den religiösen Verbänden einleitet, die Beschneidung als das schmerzhafteste Gewohnheitsrecht innerhalb der Europäischen Union zu erkennen und einzudämmen.

MfG Markus Rabanus 

Beschneidungsverbot vs. Religionsfreiheit?

BeitragVerfasst: So 15. Jul 2012, 19:31  von redaktion

Diskussionsbeitrag auf http://www.facebook.com/ekd.de :

EKD-Präsident Anke irrt, denn die grundgesetzliche Religionsfreiheit umfasst nicht die Erlaubnis, dem Kinde in einer Weise vorzugreifen, die unwiderruflicher Art ist.

Auch das grundgesetzlichen Eltern- und Erziehungsrecht steht unter gesetzlichen Vorbehalten, allgemein das Kindeswohl und selbstverständlich auch die körperliche Unversehrtheit betreffend.

Das Kölner Urteil ist in diesen Wertungen mit der Verfassung konform, soll und wird dennoch keinen Bestand haben, weil die Kriminalisierung der Beschneidung sinnwidrig ist, wenn und solange sie in den Betroffenenkreisen offensichtlich akzeptiert wird, aber das hat seine Ursache im Schweigen der Betroffenen und in der Verbrämung des tatsächlich schmerzhaftesten Gewohnheitsrechts innerhalb der Europäischen Gemeinschaft.

Jede Verharmlosung verhöhnt das Leid, womit nicht annähernd gesagt ist, dass es unverzeihlich wäre, denn "gut gemeint" hat Gewicht, aber "schlecht durchdacht" eben auch - und nichts davon ist ohne Zeitgeist.

Herr Anke wird wissen, dass sich viele vermeintlich unabänderliche Glaubensübungen wandelten, davon vieles nicht erst in der Moderne, sondern bereits in den Anfängen ausnahmslos jeder Religion. Der Wandel kann auf zweierlei Weise, entweder durch das dann ebenfalls leidvolle Diktat neuen Geistes oder sanfter und humanistischer durch Dialog und Überzeugung auch innerhalb der Religionsgemeinschaften mit schlussendlich gemeinsamer Rechtssetzung.

Markus Rabanus 

EKD sieht Kölner Beschneidungsurteil kritisch
Hans Ulrich Anke: „Religionsfreiheit und elterliches Erziehungsrecht wurde unzureichend berücksichtigt!“

27. Juni 2012

Der Präsident des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hans Ulrich Anke, sieht die gestrige Entscheidung des Landgerichtes Köln zur Beschneidung kritisch. Das Gericht hatte entschieden, dass eine aus religiösen Gründen mit Einwilligung der muslimischen Eltern bei einem vierjährigen Jungen fachlich einwandfrei durchgeführte Beschneidung den Tatbestand der Körperverletzung erfülle und auch nicht gerechtfertigt sei. Das Gericht habe es nach Ansicht von Anke versäumt, die Religionsfreiheit und das elterliche Erziehungs- und Personensorgerecht mit dem Recht der körperlichen Unversehrtheit des einwilligungsunfähigen Kindes in angemessener Weise und unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit abzuwägen. Die Entscheidung bedürfe deshalb der Korrektur, denn es sei auf jeden Fall nötig, dass es in dieser Frage in Deutschland Rechtssicherheit gebe.

Das Landgericht, so Anke weiter, leiste die gebotene Abwägung verschiedener Rechtsgüter nicht in der erforderlichen Weise, denn: „Die Beschneidung hat für Juden und Muslime eine zentrale religiöse Bedeutung. Dieses berücksichtigt das Urteil nicht hinreichend. Zudem verkürzt es das elterliche Personensorgerecht, das sich auch auf die Religionsfreiheit stützte. Das elterliche Recht der Personensorge, gerade auch in religiösen Dingen, ist ein hohes Rechtsgut, denn es trägt auch dem Gedanken des Schutzes der Familie Rechnung und dient gerade dem Wohl des Kindes. Dazu gehört auch, ein Kind in sein Umfeld und in das religiöse Leben seiner Familie hinein zu nehmen“. Die religiöse Erziehung sei deshalb ein wichtiges Elternrecht, so Anke. Dem Kind stehe später offen, sich aus diesem Umfeld und von der religiösen Ausrichtung zu lösen. Eine fachlich einwandfrei durchgeführte Beschneidung hindere es daran nicht. Und eine solche Beschneidung führe, auch wenn sie einen bleibenden körperlichen Eingriff darstelle, nicht zu einem körperlichen Schaden. Sie werde weltweit vielfach auch aus nichtreligiösen Gründen vorgenommen. Schließlich sei ein großer Teil der männlichen Weltbevölkerung beschnitten. Sicherlich, so der Präsident weiter, sei die Beschneidung abzugrenzen von der Genitalverstümmelung. Umso wichtiger aber sei die fachgerechte Durchführung. Anke abschließend: „Wenn Ärzte, die eine Beschneidung vornehmen sollen, kriminalisiert werden, besteht die Gefahr, dass viele Beschneidungen im Verborgenen, ohne ärztliche Mitwirkung und mit großen Risiken für das Kindeswohl vorgenommen werden.“

Hannover, 27. Juni 2012

Pressestelle der EKD
Reinhard Mawick

Sigmar Gabriel auf Beschneidungsabwegen

BeitragVerfasst: So 15. Jul 2012, 22:02  von redaktion

@Herr Gabriel, wenn ich aus selbstverständlichsten Gründen meine Eltern nicht vor Gericht bringe, heißt das zwar, dass auch ich keine Kriminalisierung wünsche, aber eben längst nicht, dass ich die Beschneidung gutheiße, selbst wenn ich in Kindesjahren einverständlich glaubte und dachte.

Falsch ist Ihre Stellungnahme, was für den jüdischen oder jeden anderen Glauben "konstituierend" sei, denn das überlasse man besser dem religiösen Diskurs, zumal alles in allem umstritten und auch deshalb für die grundgesetzliche Religionsfreiheit keineswegs maßgeblich ist, was jemand an Konformismen behauptet, denn gewichtig mag "wichtig" sein, aber ist davon längst nicht richtig mit ewiger Bestandsgarantie.
Auch Sie sind Zeitzeuge dafür, dass religiöse Gebote selbst nach Jahrtausenden innerhalb weniger Jahrzehnte zum Wandel kamen, z.B. das Scheidungsrecht in Andersinterpretation der Zehn Gebote, so zuletzt in Malta gegen den Willen der dortigen Kirche, aber in der Reform unterstützt durch viele Gläubige.

Es ist für unser pluralistisches Gemeinwesen schade, dass Ihnen als SPD-Chef die Aufklärung spurlos sein kann und Sie die Argumente des traditionsverhafteten Klerus so einfach übernehmen.

Stattdessen kommt es für die Debatte einzig darauf an, dass a) überhaupt darüber gesprochen wird und mit Respekt, aber Respekt und Schmeichelei sind zweierlei, b) dass für die Kriminalisierung religiöser Riten, ob Kopftuch, Männerpriesterschaft oder Beschneidung, keine bloßen Mehrheiten ausreichen können, auch keine Dreiviertelmehrheiten, sondern der Wille zum Wandel auch bei den davon Betroffenen weit fortgeschritten sein muss.

Setzen Sie sich bitte für eine "Straflos-Regelung" ein und nicht für eine Erlaubnis-Norm, denn im Unterschied zu vieler Urteilsschelte hat das Kölner Landgericht zutreffend erkannt, dass die Beanspruchung der Religionsfreiheit eben nicht jede religiöse Begründung genügen lässt, wie auch das grundgesetzliche Elternrecht nicht jede Kindesbehandlung gestatten kann.
Es müsste also ein Gesetz sein, dass sehr wohl auch zur individuellen Gewissensprüfung auffordert, ohne dass es die Schärfe der früheren Wehrpflichtverweigerungbegründung wiederholt, denn das Gewissen kann kein Dritter je zuverlässig prüfen.

Die Beschneidung ist das schmerzhafteste Gewohnheitsrecht der Religionsgemeinschaften in der Europäischen Gemeinschaft. Wenn Juden, Muslime und vereinzelt auch Christen es mit ihren Kindern dennoch straflos dürfen, so soll wenigstens Aufforderung sein, dass sie es kritisch hinterfragen, zumal durch kritische Hinterfragung noch kein Religiöser schlechter oder unreligiöser geworden ist.

Sollten Sie Zweifel haben, wie wochenlang schmerzhaft das Prozedere oder doch harmlos ist, so lassen Sie sich von den besten Ärzten fachkundig die übliche Ration oder auch nur einen halben Millimeter entfernen. Ich rate Ihnen einerseits ab, einfach aus eigener Schmerzerfahrung und aus Anwesenheit bei solchem Anlass. Und ich rate Ihnen andererseits zu, weil Sie dann authentischer mitreden können und weil es verschmerzbar ist, aber mit Ihrem gereiften Einverständnis allemal legitimer als an Kindern.
Dieser widersprüchlich erscheinende Rat auch allen Betroffenen, die den Schmerz nicht erinnern können und sich einverständlich in das vermeintliche Schicksal fügen, denn wahres Schicksal ist es nicht, sondern religiöser Ritus, den es kritisch zu reflektieren und einzudämmen gilt. Die religiöse Vergewisserung durch notgedrungen minimalistische Wiederholung des Rituals schafft ein Stückchen mehr Klarheit. - Aber die Verharmlosung geht ethisch so wenig durch, wie die Übertreibung der Kritik nicht durchgehen darf, an der auch mir nicht gelegen ist.

mfG Markus Rabanus

http://www.facebook.com/sigmar.gabriel hat geschrieben:Für mich ist klar: Religionsbedingte Beschneidungen bei Jungen dürfen in Deutschland nicht strafbar sein.

Das Landgericht Köln hat am 7. Mai 2012 festgestellt, dass auch eine fachgerecht durchgeführte Beschneidung eines Jungen den Tatbestand der Körperverletzung erfülle. Denn die Einwilligung der Eltern könne nicht zu einem Ausschluss der Körperverletzung führen. In dem konkreten Fall wurde der Arzt nicht verurteilt, da er sich in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden habe und damit schuldlos sei.

Diese erste Entscheidung in Deutschland, die eine Körperverletzung bei religiös bedingten Beschneidungen von Jungen bejaht, verkennt die Bedeutung des Grundrechts auf Religionsfreiheit. Im muslimischen und im jüdischen Leben ist die Beschneidung eines der wichtigsten religiösen Feste. Für den jüdischen Glauben ist die Beschneidung von Jungen um den achten Tag ihres Lebens sogar schlechthin konstituierend für den Bund mit Gott. Denn dieser Bund wird durch die Beschneidung erst begründet. Das Landgericht hat es versäumt, sich mit der religiösen Bedeutung der Beschneidung hinreichend auseinander zu setzen. Es hat auch nicht berücksichtigt, dass von den circa 30 % weltweit beschnittenen Männern - soweit bekannt - noch nie jemand im Erwachsenenalter gegen die an ihm vorgenommene Beschneidung vorgegangen wäre.

Mir ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass diese Entscheidung des Landgerichts eine Einzelfallentscheidung ist und keine Bindungswirkung für andere Gerichte entfaltet. Sollte jetzt jedoch eine größere Rechtsunsicherheit bei den Ärzten eintreten, muss im Sinne des Rechtsfriedens über eine gesetzliche Regelung zur Rechtfertigung der religionsbedingten Beschneidung bei Jungen bis zu einem bestimmten Alter neu nachgedacht werden. Die SPD wäre in diesem Fall zu einer gesetzlichen Klarstellung bereit. Es kann nicht sein, dass Jahrtausende alte Traditionen von Millionen von Menschen auf diese Weise in Deutschland in Frage gestellt werden.

Straflosigkeit der religiös motivierten Beschneidung

BeitragVerfasst: Mo 16. Jul 2012, 10:38  von redaktion

Gabriel: "muss im Sinne des Rechtsfriedens über eine gesetzliche Regelung zur Rechtfertigung der religionsbedingten Beschneidung ..."

Das ist falsch, Herr Gabriel, denn der Glaube an eine Beschneidungspflicht ist unserer demokratischen Gesellschaft heute längst kein "Rechtfertigungsgrund" mehr, sondern kollidiert mit Strafgesetzen, so dass es aus Perspektive der Rechtsordnung eher ein "irrtümlicher Rechtfertigungsgrund" ist, eher ein Problem des fehlenden Unrechtsbewusstseins, weshalb sich die kompromissgesollte Straflosigkeit nicht aus einem Rechtfertigungsgrund, sondern aus dem Rechtsprinzip zur Schuld ergibt: "nulla poena sine culpa" = "Keine Strafe ohne Schuld"

mfG Markus S. Rabanus

Dialoglexikon >> Beschneidung 2005 archivierter Text

lexikalisch >> http://de.wikipedia.org/wiki/Zirkumzision

>> Ethik-Forum

Original-URL >> http://rabanus.powweb.com/diskussionen/viewtopic.php?t=4760

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