Zum Abschuss des russischen Kampfjets (Nov.2015)

Die gegenseitigen Beschuldigungen Moskaus & Ankaras überzeugen nicht.
- Ob es eine "Verletzung türkischen Hoheitsgebietes" gab, wird sich dem Weltpublikum vermutlich weder belegen noch widerlegen lassen. 
- In jedem Falle waren beide Seiten verpflichtet, solch "Vorfall" zu vermeiden, 
a) durch deutliche Abstandswahrung, wenn es an Absprachen fehlte, 
b) war auch im Falle einer Grenzverletzung kein Abschuss zulässig, denn die türkische Regierung hatte keine Veranlassung zur Annahme, dass Moskau die Türkei im Fadenkreuz hatte.
Wenn unsere die Bundesregierung nicht in solch klarer Weise gegen den Vorfall diplomatischen Protest einlegt, tut sie einmal mehr nichts für das Völkerrecht.
Aber auch mit solcher Kritik an Moskau & Ankara ist es nicht getan, denn im Syrienkrieg kocht wieder einmal jeder einmischende Staat sein rivalisierendes, nationales Süppchen & völkerrechtswidrig, denn rein gar nichts davon ist mit der UNO-Charta vereinbar.

Es fehlt an allem >>> Formales Minimum wäre eine ermächtigende Entschließung des Weltsicherheitsrates, aber 
1. die nationalistischen Selbstverständnisse aller Beteiligten möchten sich in ihrer militärischen Selbstjustiz nicht völkerrechtlich limitieren lassen,
2. die Beteiligten machen den Grundfehler, dass sie wegen ihrer desaströsen Ukraine-Rivalität nun auch keine anderen Probleme lösen, wie es die UNO-Charta vorschreibt.
Aber auch wenn es so käme, dass man sich wenigstens über das Vorgehen einigt anstatt sich auf den Schlachtfeldern auch noch gegeneinander vom Himmel zu holen, dann wäre zwar immerhin manches an Eskalationsrisiken gebannt, aber für die Bevölkerung am Boden noch längst nichts an Sicherheit gewonnen, denn "gemeinsam" zerbombte IS-Stellungen wären für den IS allenfalls Grund, sich neue Stellungen zu suchen.
Wer Syrien befrieden will, müsste die Bürgerkriegsparteien entwaffnen. 
Genau das Gegenteil ist der Fall. Obendrein noch mit Stellvertreterkriegskomponente, denn bekanntlich haben Moskau und NATO unterschiedliche Vorstellungen davon, wer am Ende die Macht über die Ruinen haben solle.

Markus S. Rabanus 20151126

Geduld, Geduld. Die Welt ändert sich ohnehin nicht in Sekunden zum Besseren „smile“-Emoticon

Und schaue bitte nach, wie sehr dein "1." begründungslos ist, während ich oben mit "b)" darlegte, dass keine Verteidigungshandlung geboten war, allemal unverhältnismäßig. 

Also wenn der russische Kampfjet türkisches Hoheitsgebiet überflogen hätte, was eine Rechtsverletzung gewesen wäre - und wir beide vermutlich nie genau wissen werden, so durfte dennoch kein Abschuss sein, wie wenn sich dein Nachbar mit seinem Jagdgewehr in dein Revier verirrt, auch du ihn nicht abschießen darfst. 

Genau solche Wertung ist umstritten, denn Nationalisten beharren darauf, dass jeder auf seinem Gebiet treiben dürfe, wie ihm beliebt.

Tja, früher lautete auch bei uns der Grundsatz: "Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen." 

Aber irgendwann sah man ein, dass es falsch ist, den Kirschendieb aus dem Baum des eigenen Gartens zu schießen, dass also das Selbstverteidigungsrecht abzuwägen hat, welche Rechtsgüter auf dem Spiele stehen. So hat man mitunter Rechtsverletzungen hinzunehmen, muss sich auf den Klageweg begeben, Schadensersatz fordern usw. 

War dir das jetzt juristisch genug?

Markus S. Rabanus 20151127

@Mehmet, dass du Übeltätern das Handwerk legen möchtest, setzt voraus, dass du den Übeltätern in Sachen Fitness genügend voraus hast = "Recht des Stärkeren".
Wenn das so ist, genieße es, aber ich war in solcher Lebensphase umsichtiger & vorausschauender, denn mir war gewiss, dass mir das Recht des Stärkeren nicht auf Dauer bleibt (Prognose) & dass das Recht des Stärkeren die Schwachen benachteiligt (Umsicht), deren Behüter ich sein wollte und nicht auf Dauer bleiben könnte, wenn mir aus den Kämpfen ums Stärkeren-Recht Gebrechen passieren oder das Alter Kraft kostet. 
Die Alternative zum Stärkeren-Recht ist eine Rechtsstaatlichkeit, die Schwachen gleiche Rechte gegenüber den Starken wahrt. Nur so lässt sich alt werden & wenn die Rente gesichert ist.
Also haben wir 110 zu rufen & nur wenn da niemand erreichbar ist, dürfen wir es mit Notwehr versuchen, die jedoch anschließend gerichtlich überprüfbar bleiben und sogar bestraft werden muss, wenn die Notwehr keine war oder übertrieben wurde. Sonst wäre es Selbstjustiz.

Im Völkerrecht (UNO-Charta) nicht anders. Darüber reden wir hier, aber solche Debatte funktioniert nur, wenn das Völkerrecht als internationale Fortsetzung nationalen Rechts begriffen ist, sofern das nationale Recht im Innern die Selbstjustiz überwunden hat oder zu überwinden beansprucht bzw. bestrebt ist. 

Also haben angegriffene Staaten (sonst keine Verteidigung) den Weltsicherheitsrat und/oder IGH anzurufen. 
Stattdessen beplaudern Ankara & Moskau die Welt mit ihren selbstjustiziellen Sichtweisen, die sich offiziell im Unterschied zu deiner Sichtweise jedoch völkerrechtlich gescheiter darauf fokussiert, ob der russische Kampfjet türkisches Gebiet überquerte.

Du bist dir offenbar nicht im Völkerrechtsklaren, dass deine "Signal"-Argumentation einer Kriegserklärung Ankaras an Moskau gleichkäme.

Deshalb zurück zu den regierungsoffiziellen Bekundungen: 

Das russische Kampfflugzeug kam auf syrischem Boden nieder. Ballistiker könnten berechnen, ob der Abschuss dennoch über türkischem Hoheitsgebiet oder erst über syrischem Hoheitsgebiet erfolgt ist, denn auch das macht den Unterschied, ob es überhaupt noch eine "Verteidigungshandlung" war. 

Moskau könnte auf eine Untersuchung bestehen, aber tut es nicht. 

- Der Verdacht liegt nahe, dass der russische Kampfjet tatsächlich türkisches Territorium überflogen hat, möglicherweise sogar auch über dem türkischen Staatsgebiet abgeschossen wurde und nach Syrien abstürzte. 
- Oder Moskau will (wie Ankara) eigenes Verhalten nicht völkerrechtlich überprüfen lassen, weil weiterhin auf dem Trip, sich in keiner Weise dreinreden zu lassen, was man für falsch oder richtig hält und was im nationalen Interesse liege. 
- Oder Moskau vertraut nicht auf eine faire Untersuchung, denn die NATO kann kein Interesse daran haben, ihrem Mitglied Türkei einen völkerrechtlichen Rüffel zu verpassen, denn die Türkei wird gebraucht, um von dort den IS oder Assad zu bekämpfen, denn so ganz genau weiß es niemand, wem da zwischen den Ruinen der Sieg beschert wird. 
Auch bei dem türkischen Abschuss eines syrischen Kampfflugzeuges gab es keine völkerrechtliche Debatte, man zeigte sich (wie auch jetzt) allenfalls "besorgt", aber stellte sich im Gegenteil mit der Stationierung von Patriot-Raketen demonstrativ hinter Ankara.

In Anbetracht solcher Umgangsweisen kann es sogar sein, dass sich Ankara für solchen Abschuss die stillschweigende Rückendeckung Washingtons hat zusichern lassen, damit die Russen wissen, in diesem Krieg nicht das Sagen zu haben. 

Zumindest jedoch hat Ankara von Seiten Russlands überhaupt nichts zu befürchten, solange Erdogans Bündnis mit Washington hält.

Markus S. Rabanus 20151127

Auch ich hatte überlegt, ob Moskaus Kriegseintritt völkerrechtlich unproblematischer sein könne als das, was von westlicher Seite veranstaltet wird.
Zwar ließe sich durchaus das Szenario zeichnen, wonach Syrien von ausländischen Mächten angegriffen Moskau um Beistand ersucht, aber auch solche Bedrohung des Friedens, auch solche Nothilfe wäre dann sofort dem Weltsicherheitsrat anzutragen gewesen, die Beistandshandlungen zu mandatieren. 
Das ist nicht geschehen. Folglich hat Moskau kein heutiges Völkerrecht auf seiner Seite, wie es auch der Westen nicht hat. 
Tatsächlich handeln alle Akteure völkerrechtswidrig & können sich auch nicht mit den Völkerrechtswidrigkeiten der anderen rausreden, denn alle Seiten verschulden die gemeinsame Völkerrechtswidrigkeit, weil sie insgesamt falschen Doktrinen folgen:

Washington liegt falsch. Washington will unbedingt die 1.Geige bleiben und sich vom allgemeinen Völkerrecht ausnehmen (z.B. Internationaler Strafgerichtshof, keine oppositionellen Staaten zu dulden bereit sind, quasi die Weltherrschaft für sich beanspruchen und nicht einmal ihrer "Allianz der Willigen" echte Mitsprache gestatten.

Moskau liegt falsch, weil Putin sich eine "Multipolare Welt" wünscht, als habe sich die Welt zwei, vier oder sieben Mächten zu unterwerfen. Möglicherweise wäre Putin mit der 2.Geige glücklich und würde die 3.Geige für Peking oder andere wünschen, um sich gemeinsam gegenüber der 1.Geige zu behaupten, aber genau solche Spekulation auf irgendeine "Balance of Power" setzt die politischen Rivalitäten noch immer militärisch fort & bleibt im Hinblick auf Krieg und Frieden instabil, denn es provoziert all das zu tun, was die Gegenseite nicht zu hindern vermag, um den eigenen Rang zu festigen - anstatt den Vereinten Nationen den militärischen Vorrang zu gewähren und sich selbst auf bloße Rechtsstreitigkeiten zu verkürzen. 

Paris, London, Berlin usw. liegen falsch, weil sie sich auf dem Trittbrett Washingtons versprechen, anstelle Russlands und Chinas die 2.Geige spielen zu können. 

Und wer in Syrien das Richtige tut, entzieht sich meiner Kenntnis bzw. wird unter Trümmern begraben.

Markus S. Rabanus 20151204

 

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