Sachlichkeit im Dialog

Hallo Martin,

das Problem aller Begriffe und Betrachtung ist: es zerfällt in ihnen die Realität. Aber wir können sie eben nur in solch kleinen Teilen fassen - und versuchen zu ändern.

So ergeht es auch mir mit der Forderung nach "sachlicher Diskussion", wenn diese als "emotionslos" gemeint wäre. 

Subjektiv:

ich könnte solche "Sachlichkeit" nicht. Und ich würde sie auch nicht wollen. Emotionslosigkeit wäre unaufrichtig obendrein. Wenn mich einer willentlich verletzt, dann würde ich meinen spontanen Vergeltungswunsch nicht leugnen wollen, sondern allenfalls mäßigen können.


Objektiv:

Aber das zuvor Gesagte erledigt sich eigentlich, denn ich halte den emotionslosen Dialog ebenso wie Du für unmöglich, also für reine Fiktion, durch dessen Behauptung allenfalls eine gefährliche Ambivalenz verschleiert würde, wie sie in Jakobinerterror und Euthanasie-Mord Beispiele für den Abschied von der Menschlichkeit war.

Es kommt letztlich darauf an, dass sich im Dialog Emotionalität und Sachlichkeit gegenseitig Grenzen setzen und in der Wirkung kontrolliert bleiben: Mahnung zu Erarbeitung und Einhaltung von Mindeststandards, also gemeinsamer Vernunft, die alle in Würde leben lässt.

Deutlich machen muss man, dass im Bekenntnis zur Emotionalität kein Bekenntnis zur "Unsachlichkeit" liegt, sondern bildhaft gesprochen Emotionalität und Sachlichkeit wie zwei Beine sind, die aufeinander abgestimmt die
Vernunft fortschreiten lassen.

Eigene Unbeherrschtheit kann die Unbeherrschbarkeit des dadurch eskalierten Konflikts zur Folge haben. Die Forderung nach einem "sachlichen Dialog mit dem Feind" kann nur Selbstbeherrschung meinen, vielleicht sogar ein Gebot: "Jedes Reden und Handeln ist dialogisch und politisch unstatthaft, wenn es einen Konflikt eskaliert."

Die Person als eine "legitime Zielscheibe des Dialogs" - das dürfte noch aus dem weiteren Grund zutreffend sein: Damit die persönliche Verantwortung für Reden und Handeln nicht verloren geht.

Mit dem Spruch "Der Worte gegen den Feind sind genug, es fehlt an Worten gegen die Feindschaft." möchte ich nicht behaupten, dass es keiner Worte gegen den Feind bedarf, aber es ist eine Art "pragmatischer Humanismus" anstelle der im anderen Posting besprochenen "Feindseligkeit", also Suche nach dem gemeinsamen Ausweg anstelle von sich in Anschuldigungen und Rache wiederholend perspektivloser Politik: Mordirland, Naher Osten, ...


Habe ich das Recht und die Macht zur Rechtsdurchsetzung, dann gibt es die Alternative des Schuldspruchs und der Strafe. Wobei die Macht durch das Recht kontrolliert sein. Fehlt es mir an allem, dann muss ich pragmatisch mit Polemik sparsamer sein. 

Zudem erscheint mir noch wichtig, dass aus der Feststellung "Feindpersönlichkeit als legitime Zielscheibe des Dialogs" die Umkehrung folgt: Dass man sich auch selbst (persönlich) treffen lässt. Aber natürlich nicht in einer m.E. dummen Weise, dass man sadistische Begierden dulden/provozieren müsste, indem die zweite Wange hingehalten wird. Sondern auffordern zur Kritik und möglicherweise auch zum Angriff - als Nachweis, dass man davon hinnehmen kann und sich bewegt. 

Der "Angriff ist nie (die beste) Verteidigung", sondern Angriff. 
Wohl aber die "Initiative", die "Aktion" kann die Sicherheit erhöhen, denn durch sie lässt sich die Reaktion ein Stück weit definieren und kontrollieren. 

Dieses "sich selbst zum Angriffsziel machen" könnte die Dialogie von der Mediation unterscheiden, denn nur selten kann man sich real über den Konflikten schwebend sehen, sondern sollte sich als in vielen Konflikten selbst befangen verstehen. 

Solche Konfliktbefangenheit muss jedoch nicht gleichbedeutend sein mit Parteilichkeit, denn das ist ja gerade die "Todsünde vieler Ideologien" und vieler Politik, dass sie von jedermann Parteilichkeit verlangen, obwohl die meisten mitbetroffenen Menschen gar nicht mitursächlich für die großen Konflikte sind und ihnen auch kein gegen den Konflikt insgesamt gerichtetes Mitbestimmungsrecht eingeräumt wird: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns." - 

Gerade in den Polarisierungen liegt die Unvermittelbarkeit, die Konflikte bis in die Unbeherrschbarkeit eskalieren lässt. 

Deshalb begeistern mich solche Allianzen so wenig, die Drittstaaten keine neutralen Positionen lassen, denn diese Staaten könnten vermitteln, wo die "Allianzen" versagen und sich noch immer nicht .Dann aber erscheint mir auch wichtig, dass aus der Feststellung "Feindpersönlichkeit als legitime Zielscheibe des Dialogs" auch die Umkehrung folgt:  Dass man sich auch selbst (persönlich) treffen lässt. Aber natürlich nicht in einer solch m.E. dummen Weise, dass man sadistische Begierden dulden/provozieren müsste, indem die zweite Wange hingehalten wird.  

Dieses "sich selbst zum Angriffsziel machen" könnte die Dialogie von der Mediation unterscheiden, denn nur selten kann man sich real über den Konflikten schwebend sehen, sondern sollte sich als in vielen Konflikten selbst befangen verstehen. 

Diese Konfliktbefangenheit muss jedoch nicht gleichbedeutend sein mit Parteilichkeit, denn das ist ja gerade die "Todsünde vieler Ideologien" und vieler Politik, dass sie von jedermann Parteilichkeit verlangen, obwohl die meisten mitbetroffenen Menschen gar nicht mitursächlich für die großen Konflikte sind und ihnen auch kein gegen den Konflikt insgesamt gerichtetes Mitbestimmungsrecht eingeräumt wird: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns."  -  Gerade in solchen Polarisierungen liegt die Unvermittelbarkeit, die Konflikte bis in die Unbeherrschbarkeit eskalieren lässt.

Alles sehr wirr. Vielleicht wird es sich allmählich entwirren.

Grüße von Sven
200308

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