Orhan Pamuk

Orhan Pamuk, geboren am 7.Juni 1952 in Istanbul, besuchte das dortige "Robert College", studierte an der Technischen Universität Istanbul Architektur und Journalistik lehrte zwischen 1985 und 1988 an der Columbia University in New York, lebt seither wieder in Istanbul. 

In einer politisch wachen Familie aufgewachsen suchte Pamuk zunächst Ausdrucksform in der Malerei. Im Alter von 23 Jahren fand er zum Roman. Schon für sein erstes Buch "Cevdet Bey ve Oğulları" (geschrieben 1979, erschienen 1982) bekam Pamuk einen Literaturpreis. Viele weitere Romane und Auszeichnungen folgten.

Sein Werk ist geprägt von einem scharfen und kritischen Blick für die Verhältnisse, fördert jedoch das Verständnis und das Solidarbewusstsein für den in diesen Verhältnissen lebenden, agierenden Menschen. Die Präzision der Darstellung macht die Vielfalt kultureller Situationen, Motivationen und Chancen deutlich.

Pamuk ist ein unaufdringlicher, aber durchdringender Erinnerer, ein Mahner durch eigenes Bekennen. Pamuk brachte den Völkermord an den Armeniern zur Sprache und den Krieg gegen andere Minderheiten in der Türkei, insbesondere gegen die Kurden. Von türkischen Nationalisten wird ihm deshalb Nestbeschmutzung zum Vorwurf gemacht und in diesem Jahr (2005) ist ein Prozess gegen ihn anhängig.


23.10.2005  Friedenspreis des dt. Buchhandels

BeitragVerfasst von Sven am: 23.10.2005, 14:20

Kleine Laudatio für einen großen Schriftsteller

Heute wurde Orhan Pamuk in der Paulskirche von Frankfurt a.M. der Friedenspreis des Börsenvereins des dt. Buchhandels verliehen. Die Laudatio hielt Joachim Sartorius. 

Spannender, anregender war die Danksagung von Pamuk. Orhan Pamuk schilderte sein Selbstverständnis als Roman-Autor in Auseinandersetzung mit den Lesern, mit den Menschenbildern als Erweiterung individueller Horizonte durch Identifikation, für die er als Quelle der Toleranz plädiert. 

Dieser Roman-Humanismus wurde zur Überleitung für Pamuks Vision einer Europäischen Union, die sich auf die Gedanken der Aufklärung gründet und dem Menschen in seiner Individualität, also auch Tradition, Religion und Moderne Respekt, also politische und soziale Zugehörigkeit einräumt. 

Wer nun mit Hinweis auf Demokratiedefizite, Menschenrechtsverletzungen in der Türkei das EU-Aufnahmegesuch verunglimpft, zurückweist, solle sich in die Köpfe und Herzen derer denken, die abgewiesen werden. Da werde nicht nur ein Staat zurückgewiesen, sondern eine Bevölkerung, jeder einzelne Mensch. Anti-Europäische Stimmung drohe als politische Folge.

Pamuk bezeichnete das Aufnahmegesuch der Türkei als Friedensangebot an das westliche Europa. Als Konsequenz und Hoffnung nach Jahrhunderten des Gegeneinanders von Morgen- und Abendland. 

Die Ablehnung eines solchen Bundes kritisiert er als Abkehr von den Gedanken der Aufklärung, die das wesentliche Selbstverständnis Europas seien, während die Reduktion Europas auf das Christentum wie auch die Reduktion der Türkei auf den Islam eine einander vergleichbare Rückschrittlichkeit darstellen. 

Unter den anwesenden Festaktsgästen waren zahlreiche Ablehner der türkischen EU-Mitgliedschaft. - Werden sie umdenken? Oder zumindest ein Stück weit besser verstehen?

Ich freue mich über den Friedenspreis des dt. Buchhandels für Orhan Pamuk. Ich freue mich für meine türkischen Freunde und alle, die ein vollständiges Europa wollen, ein Europa, das aus Staaten wie der Türkei keine "Pufferzonen" macht, sondern sie zu Bindegliedern zwischen Kontinenten und Kulturen werden lässt.

-sven-  
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