Leitkultur oder Multikultur?

Moin Slime,

Deine Zeilen aus der Postings 21065 + 21068 sind allenfalls Inhaltsverzeichnisse, aber Du musst zu begründen beginnen, damit sich die Leute keine falschen Vorstellungen machen, was die Unterschiede Deiner Ideen zu denen von NPD-Anhängern seien, z.B. "Rückführung" mit Platzkarte statt Vieh-Waggon? 

Wärest Du aufmerksamer, was die Leute der reexen Liga von sich geben, dann würdest Du ahnen, dass sie in Parteiprogramme anderes schreiben als sie denken, so dass Deine Verlinkungen nur eine Propaganda verbreiten, die mit den tatsächlichen Absichten der Autoren grad mal die Tendenz gemeinsam haben.

Darum möchte ich auch nicht, dass Du auf Sprachrohr der Republikaner machst, sondern Deine ganz persönlichen Ansichten darlegst und sehr wohl auch zur Hinterfragung bereit bist.

Du kannst davon ausgehen, dass sich die User dieses Forums überdurchschnittlich für Politik interessieren, ihnen also die Slogans von Parteien hinreichend bekannt sind. Und mir schon paar Jährchen länger als Dir. Dafür geben auch die Reps viel Geld aus. 
Also verlängere uns die Wahlkampf-Parolen mal nicht ins Forum, zumal Du uns hier nicht der erste REP-Fan bist. Und leider waren sie stets schnell wieder futsch, wenn sie merkten, dass sie bei uns richtig scharf denken müssen, also z.B. mal über "Leitkultur" im Lichte des Art.3 GG.

Da sind die Reps nicht anders als die Fans der NPD, sobald sie uns erläutern müssen, worin sie sich ideologisch von der NSDAP unterscheiden - und wenn, warum sie dann so tun, als seien die Verbrechen und Kriege der NSDAP gar nicht nationalsozialistisch motiviert gewesen, sondern nur in Selbstverteidigung allgemeinster Rechte.

Du schriebst: "Sollte die REP sich auflösen wird die NPD das Zepter übernehmen. ... Die sind viel radikaler als wir."

Mit solch Satz verkennst Du, dass es in vielem nicht um "radikal oder radikaler" geht, sondern um richtig oder falsch. Wer das nicht begreift, ist dann nicht einfach nur "weniger radikal", sondern bastelt faschistischen "Lösungen" den Weg in das Bewusstsein der Gesellschaft, in die nächste Sackgasse der Geschichte.

Die multikulturelle Welt und Gesellschaft

Und nun sei nicht sauer, denn solche Verantwortung liegt nicht nur bei Dir, sondern liegt bei tatsächlich allen, bis hinein in die parlamentarische und außerparlamentarische Linke, bei allen vom rechten Rand bis zum linken Rand, die Zuwanderung nationalistisch steuern ("Greencard", "Leitkultur"), begrenzen, abstellen ("Rückführung") oder auch fördern ("wir brauchen ...") möchten.

Die Verantwortung liegt bei allen, die rechtspopulistisch oder bürgerlich-fatalistisch behaupten, die multikulturelle Gesellschaft sei gescheitert, denn das suggeriert den Trugschluss, als gäbe es zur multikulturellen Gesellschaft eine annehmbare Alternative, die dann nicht Wunschdenken und Praxis von Nationalisten, Rassisten und Monokulturalisten würde.

Wer behauptet, die multikulturelle Gesellschaft sei gescheitert, der könnte ebenso irreführend verlauten, die multikulturelle Welt sei gescheitert, denn immerhin gibt es jede Menge Probleme und Kriege zwischen Staaten unterschiedlicher Mehrheitskultur mit entsprechend vielen "kulturellen" (=ideologischen und religiösen) "Begründungen". 
Und solche Konflikte sind längst nicht nur Ausgeburt von "Unterentwicklung" oder "Rückständigkeit", sondern oft genug falsche Konsequenz aus technischer Überlegenheit.

Zur multikulturellen Welt und Gesellschaft gibt es keine Alternative, denn sie ist ein Fakt, also kann sie auch nicht "scheitern", sondern muss mit all ihren enormen Problemen gemeistert werden, ansonsten "scheitert" die Menschheit als Ganzes an der Inkompetenz und dem unzureichenden Willen zur Gemeinschaft des Verschiedenen aus Gemeinsamkeit.

Auch das klingt Dir möglicherweise abgedroschen, aber ist weit entfernt von jeglicher Schönfärberei, derer solche Feststellungen bezichtigt werden, als unterscheide sich der bessere Arzt nicht vom schlechteren dadurch, dass er sich jeden Patienten müht, bis nichts mehr zu machen ist, während der schlechtere Arzt allenfalls auf die Abrechnung schaut und "jeder Mensch stirbt sowieso irgendwann".

Also gibt es keine Alternative zur Welt, zur Gesellschaft, für Dich, als sich aus der Verschiedenheit der Menschen ein zivilisiertes Miteinander zu machen.

Und Du weißt es selbst, was zu tun ist: Die Politik sollte sich an den Menschen orientieren = Verhältnisse in der Welt und in Deutschland so zu beeinflussen und zu gestalten, dass nicht z.B. durch Kriege anderenorts die Lebensgrundlagen verloren gehen, dass der Welthandel fairer werden müsste, damit die "Abwanderungsländer" nicht weiter verarmen, und in den Zuwanderungsländern mehr Integration stattfindet. 

Und Integration = Assimilation? 

Bockwurst statt Döner. Wo ist das Problem? Zwingt Dich da jemand? 

Wenn mein Nachbar aus Bayern ist und meine Nachbarin aus Moskau, dann feiern die zwar unterschiedliche Feste, aber das besagt nichts darüber, wer das bessere Deutsch spricht, mit mehr Verstand. 
Aber natürlich gibt es auch kluge Bayern. Mir fällt spontan nur niemand ein. Das möge man mir nach allem Desaster um Stoiber für den Moment verzeihen. Pauli kann immerhin Gegenbeispiel sein.

Es braucht gemeinsame Sprache, gemeinsamen Willen zu gegenseitiger Achtung. Damit tut man sich nicht nur nach Herkunft schwer, sondern auch in der Wissenschaft, in der Wirtschaft, Kunst, vor allem auch in der Politik, wenn wir uns beispielsweise hier im Forum die Diskussionen mit Rechtsextremisten betrachten >> Die gemeinsame Sprache ist für nichts Garantie, denn mit ihr lässt sich Hass schüren, der sich in primitivsten Verbrechen fortsetzt, ganze Landstriche in Verruf bringt und jeden Menschen mit wirklicher Kultur anwidert. 

Als Konsequenz daraus "Nazi raus", ab ins Meer, in die Wüste? 

Aus Wahllisten und Rathäusern allemal, und zwischendurch wäre mir komplett danach, sie dorthin zu prügeln, wohin sie andere prügeln wollen, aber Prügel, Abschiebung und Vernichtung sind ihre "Lösungen", dürfen uns keine Lösungen sein, mit denen man Menschen gerecht werden könnte. 
Darum machen wir www.nazis.de mal so, wie Du es für schlecht hältst, aber mit www.deutsche-seid-lieb.de kommt man an Strolche kaum ran, so sehr sie angeblich Deutschland "lieben", und es wäre auch nicht das Programm überall außerhalb meiner Familie.

Was verstehst Du unter "Leitkultur"? 

Die C-Parteien verstehen darunter vor allem die christlichen Werte, womit sie die Werte anderen Kulturen indirekt in Abrede stellen. Verzeihen kann ich ihnen nur, wenn sie nicht wissen, dass Werte wie Nächstenliebe, Gewaltlosigkeit usw. sehr wohl auch Bestandteil anderer Religionen und Ideologien sind, wenngleich nicht grad das Aushängeschild von Herrenrasslern. 

Es gibt keine "Leitkultur" bzw. es darf keine Kultur geben, die sich anderen Kulturen gegenüber einen Führungs- oder Überlegenheitsanspruch anmaßt. Solche Tendenzen gibt es in allen Kulturen - und das führt immer zu Konflikten. Solchen Tendenzen gilt es deshalb in allen Kulturen entgegenzutreten. Es galt schon immer, schlechte Traditionen als schlecht zu erkennen und zu überwinden, durch bessere Traditionen zu ersetzen. Nie war sich der Mensch anderes schuldig, als sich und die Kultur weiterzuentwickeln. 

Wer von "Leitkultur" spricht, der redet der Fremdenfeindlichkeit das Wort, als sei deren Kultur minderwertiger.

Wer von "Leitkultur" spricht, der redet dem "Kampf der Kulturen" das Wort, den es immer gab und gibt, aber genauer bedacht stets ein "Kampf gegen Kultur" ist, denn gute Kultur kann einander nicht "bekämpfen", stattdessen bereichern, ansonsten würde Kultur zerstört.

Wer Verstand für Kultur hat, hat Verstand für die Unterschiede, aber doch bloß nicht nur für die Unterschiede, sondern auch für die Gemeinsamkeiten >> das positive und gemeinsame Erbe aus der gesamten Menschheitsgeschichte. Sokrates war kein Deutscher, aber sagt mir mehr als Schröder. Gönnst Du mir das nicht?

Kultur in der Welt, in Europa und in Deutschland soll ein Prozess gegenseitiger Entwicklung hin zu einer tatsächlich multikulturellen Gesellschaft sein, in der z.B. das Miteinander von Muslimen und Christen ebenso problemlos wird, wie in den letzten Jahrzehnten die Ehe zwischen Protestanten und Katholiken wurde. 
Und auch da ist längst nicht alles geschafft. Du weißt wenig davon, denn Du bist spät geboren und müsstest Dich bilden, was älteren Leuten Erfahrung ist, wenngleich längst nicht immer Erkenntnis. 
Aber bei meiner Tante habe ich es leichter als mit Dir, denn ich brauche sie nur daran zu erinnern, wie schwierig ihre "Mischehe" gemacht wurde, weil die katholische Kirche noch immer unüberwindliche Probleme mit protestantischem Glauben hatte, so dass sie gegen ihre Überzeugung "übertreten" musste, damit er sie kirchlich ehelichen durfte. So wurde sie "assimiliert" in unserer "multireligiösen Gesellschaft" der Fünfziger.

Das hat sich gebessert, weil der Druck der Menschen auf die Kirchen groß genug wurde, aber wenn kein Wille gewesen wäre, ...

Und mit der "multikulturellen Gesellschaft" ist es nicht anders: Entweder man tut etwas dafür oder man schürt die Konflikte.

Grüße von Sven 200701    >> DISKUSSION

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