Kriegsverbrechen und Gerichtsbarkeit

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Nurmal so:

Ist legitim. Nur ohne Klärung, wie Du meine Parteilichkeit verortetest.

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Wenn ich Dich fragte ob Israel überhaupt in den Libanon einmarschieren durfte, dann gibt es nur drei Antworten:
1. ich weiß es nicht (zu beurteilen),
2. Ja
3. Nein 

Meine Antwort lautet "Nein", denn der Angriffskrieg machte eine Geiselbefreiung eher unwahrscheinlich. Das Geiselbefreiungsmotiv schien mir von Anbeginn nur Vorwand zu einem offenen Krieg gegen die Hisbollah.

Als behauptete Selbstverteidigungshandlung schien mir der Krieg somit "ungeeignet", "unverhältnismäßig" und "ohne Notwehr-/Nothilfe-Situation", also in ausreichend Tatbestandsmerkmalen der Verteidigung scheiternd. Es war daher unzulässige Selbstjustiz unter Verstoß gegen das geltende Völkerrecht, wie es mir interpretierbar ist.

Ein funktionierender Weltgerichtshof würde Israel dafür verurteilen, während der Weltsicherheitsrat a) unterentwickelt ist, b) pragmatischer nur eine Resolution zur Waffenruhe erhoffen ließ.

Davon verschieden wäre auch die Hisbollah schuldig zu sprechen, wie ich in vielen Postings darlegte, da sie ihr Handeln nicht auf allgemeines Recht gründen kann.

Zusammenhang und Verantwortung

"Aktion, Provokation, Reaktion stehen im Zusammenhang, keine Geschichte ohne Vorgeschichte, keine Geschichte ohne Folgen, alles hat Zusammenhang, nicht minder in den antagonistischsten Widersprüchen", aber aller Zusammenhang wäre nur Vernebelung der Begreifbarkeit, wenn wir geistig nicht schaffen, die allgemeine Verantwortung von der Eigenverantwortung zu unterscheiden.

So ist eben doch häufig unterscheidbar, ob eine Provokation so irreführend war, dass sich der zu Verbrechen Provozierte damit entschuldigen kann, dass er provoziert wurde oder es nur willkommener Anlass oder Überreaktion war und eigenständig zu verantworten ist.

Selbstverständlich gibt es die Mitschuld an sich - darum steht die Mittäterschaft im Gesetz, aber die Mitschuld entschuldet die Täter nicht, weder gegenseitig und schon gar nicht gegenüber den Opfern.

So wäre mir der Libanonkrieg auf folgende Weise einzelgegenständlich zu verhandeln:

1. Gerichtsverhandlung zum Angriff der Hisbollah auf den israelischen Militärposten samt Tötung und Entführung, den die Anklage zu beweisen hat.
Das von der Hisbollah behaupteten Widerstandsrecht braucht der Hisbollah nicht widerlegt zu werden, denn die Hisbollah stünde in der Beweispflicht für den von ihr behaupteten Rechtfertigungsgrund zur Tötung und Entführung der israelischen Soldaten.
Vermutliches Ergebnis: Überfall, Alleinschuld und Haftung.

2. Gerichtsverhandlung zum Einmarsch der Israelis in den Südlibanon unter Prüfung des behaupteten Selbstverteidigungsrechts, das wiederum Israel zu beweisen hätte, während das Gericht nur beweisen muss, dass Israel den Libanon militärisch angriff.
Vermutliches Ergebnis: Überfall, Alleinschuld und Haftung.

3. Gerichtsverhandlung zur Zerstörung ziviler Infrastruktur durch die israelische Armee. Beweispflichten wie oben.
Vermutliches Ergebnis: Alleinschuld und Haftung.

4. Gerichtsverhandlungen sowohl gegen Israelis als auch gegen die Hishollah zu jeder einzelnen Verletzung, Tötung und zur Zerstörung jedes einzelnen zivilen Eigentums, insbesondere der Wohnhäuser.
Vermutliche Ergebnisse sind verschieden: Alleinschuld, Mitschuld.

Pragmatismus

Das wären schon nach diesem kleinen Krieg mehr als 1000 Prozesse, was zeigt, dass ein Krieg kaum justitiabel ist, was jeden Krieg zum "ungerechten Krieg" macht, auch wenn die Angegriffenheit und Verteidigung einiges Recht verschafft.

Und trotz der unerreichbaren Gerechtigkeit durch und nach Kriegen sollten Prozesse sein, um den Krieg zu kriminalisieren. Dazu braucht es Pragmatismus und Hinnahme von Endlichkeiten, zumal darauf konzentriert, dass die Aufarbeitung von Geschichte, wenn sie mehr als nur Hobby sein soll, eine Hilfe für Gegenwart und Zukunft sein müsste.

So muss der dem Recht prinzipiell unabdingbare Vergeltungsgedanke und auch das Streben nach Gerechtigkeit häufiger der Vergebung und Verschmerzung weichen, zumal weder alles vergolten werden kann und auch nicht wiedergutmacht.

TMoC hat folgendes geschrieben:  ‹ markieren ›
Du ahnst wo das hinführt? 

Du hast nun die Antwort mit Verallgemeinerbarkeit, aber das sollte uns keinen Themenwechsel veranlassen, denn der Topic ist zu wichtig, um Trittbrett für anderes zu sein.

Ergänzende Fallgestaltung zur Mitschuld am Krieg:

Wenn die Staaten A und B, ob an gemeinsamen Tischen oder per Drohbriefen verhandeln und scheitern, dann wäre für die gemeinsame Schuldtragung am Kriegsausbruch der Beweis erforderlich, dass sie sich auf den Krieg geeinigt hätten, dass er stattfinden soll.

Wenn aber der eine Staat sagt: "Nein, ich will den Krieg nicht und werde ihn nicht beginnen, auch wenn die Verhandlungen scheitern", dann wird ihm der aufgezwungene Krieg keine Mitschuld am Krieg begründen, vollkommen belanglos, was sich dieser Staat zuvor hat zuschulden kommen lassen. Der angegriffene Staat darf sich verteidigen im Rahmen der Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit.
Die Kriegsschuld läge allein beim Angreifer.

Ausnahmen: Ein überstaatlicher Gerichtshof oder ein völkerrechtliches Abkommen sieht solchen Krieg vor. Das wären Ausnahmen, die unter vielen weiteren Vorbehalten stehen.

Fehlt es an Erklärungen kriegsübereinkünftiger Art, so wäre der Angreifer mit seiner Mitschuldbehauptung in der Beweispflicht, während ihm ohne Beweis solcher Übereinkunft die Anklage einzig den Angriff nachweisen muss, um zur Alleinschuld, Alleinhaftung des Angreifers zu kommen.

Das mag juristisch "kompliziert" klingen, aber intuitiv ist es das nicht.

Die Unkompliziertheit des Prinzips lässt sich an der Häufigkeit erkennen, dass Angreifer entweder einen Verteidigungsfall durch Fälschung konstruieren oder vergleichsweise geringfügige Vorfälle zum Vorwand für den Kriegsausbruch nehmen.

Und Fortschritt:

Selbst wenn frühere Urteile falsch gewesen wären, weil beispielsweise
1. die Staaten A und B sich gemeinsam still und heimlich zum Krieg gegeneinander verabredet hätten, ohne es den Menschen zu gestehen, oder beispielsweise
2. ein Gericht nicht ordentlich urteilen wollte,

so wäre beides kein Grund, auch in Gegenwart und Zukunft falsch entscheiden zu wollen oder zu dürfen.

Grüße von Sven200608    >> Beitrag

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