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Friedenspreis  2002  2003  2004  2005  2005  2006  2007  2008 und andere Friedenspreise

www. Friedenspreis  .de
1999
verliehen an

Ignatz Bubis  und  Dr. Nadeem Elyas

Begründung

- Stiftung -

 

Die Ehrung gilt

Herrn  Ignatz Bubis,
Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland,
verstorben am 13.August 1999,

und

Herrn  Dr. Nadeem Elyas,
Vorsitzender des Zentralrates der Muslime

für die Tagung
"Juden und Muslime in Deutschland - Gemeinsam fremd?"
Minderheitendialog als Zukunftsaufgabe

gleichfalls geehrt werden
das Deutsche Orient-Institut Hamburg
als Veranstalter
und die Katholische Akademie Hamburg
 als Gastgeberin

Die Tagung  fand am 21. Januar 1999 in Hamburg statt.

BEGRÜNDUNG
Erstmals trafen sich die Spitzenvertreter von Juden und Muslimen in Deutschland und diskutierten die Minderheitendiskriminierung und Chancen  gemeinsamer Integrationsbemühungen. 
Der verstorbene Vorsitzende des Zentralrates der Juden, Ignatz Bubis, war sich dieser sensationellen Annäherung bewußt: "Ich weiß, daß ich dafür in meinen eigenen Reihen viel Ärger bekommen werde."  
Dr.Nadeem Elyas, Vorsitzender des Zentralrates der Muslime in Deutschland unterstrich die Entschlossenheit mit den Worten: "Wir werden Kritik aus den eigenen Reihen ernten. Dies haben wir in Kauf genommen, da wir uns als Muslime in Deutshland für Transparenz, Öffnung und für Zusammenarbeit einsetzen wollen."

Für ihren Mut, dennoch vorhandene Vorurteile und Denkblockaden zu durchbrechen, erhalten die Genannten den www.friedenspreis.de.   

Innenpolitische Brisanz
Die Ausgangsituation heute ist entgegen verbreiteter Ansichten weniger von "Ausländerfeindlichkeit" geprägt, denn nicht Amerikaner oder Niederländer sind die Adressaten der Ressentiments, als vielmehr von  "Fremdenfeindlichkeit", die sich unabhängig von der Staatsbürgerschaft an spezifizierbaren Verschiedenartigkeiten manifestiert.

Diese Fremdenfeindlichkeit äußert sich in anwachsendem Rechtsextremismus, in dessen Ideologie der Antisemitismus einen unverändert festen Platz innehat. 
So sehr sich die politische Mitte unseres Landes vom Antisemitismus emanzipiert glaubt und der Antisemitismus in Aufarbeitung des Holocaust  seine "Salonfähigkeit" verlor, sind dennoch die Schwierigkeiten vorherrschend, sich das Judentum als religiöse, kulturelle Identität vorzustellen und definiert die jüdische Minderheit vielfach nach Abstammungskriterien, also genetisch und damit in ideologischer Nachbarschaft zum Rassismus, der menschenverachtenden Interpretationsvariante gemutmaßter Unterschiedlichkeit. 

Historisch relativ neu hingegen sind Überfremdungsängste gegenüber der zahlenmäßig größeren, muslimischen Minderheit. Es hat sich das Feindbild eines ideologischen Islam herausgebildet, der eine Bedrohung westlicher Kultur und Gesellschaftsordnung darstelle.
Die Konkurrenzängste nähren sich aus den Quellen a) wirtschaftliche und einhergehend soziale Zukunftsängste, b) das stärkere Hervortreten des internationalen Arm-Reich-Konfliktes seit mit dem Ende der sozialistischen Staaten- und Militärallianz die jahrzehntelange Hauptkonfliktlinie des Ost-West-Gegensatzes entfallen ist.

Ihrem politisch bewussten Selbstverständnis nach sind Juden und Muslime deutscher Staatsbürgerschaft weder "Ausländer" noch "Fremde", sondern entsprechend Artikel 3 Grundgesetz undiskriminierbar "Deutsche".
In der bundesrepublikanischen Realität indes wird der Verfassungsanspruch verkannt und die Mehrheitsbevölkerung nimmt gegenüber den religiösen und ethnischen Minderheiten eine Haltung ein, deren Konstante die Fremdheit ist.

Fremdheit definiert sich als Integrationsdefizit und ist die typische Ausgangssituation jeder ersten Phase der Begegnung.
Fremdheit überwindet sich im gegenseitigen Kennenlernen und in der Bewältigung gemeinsamer Aufgaben. Und tatsächlich ist signifikant, daß die fremdenfeindlichen Exzesse vor allem Städten vorbehalten sind, in denen die Minderheiten besonders schwach und neu vertreten sind, während es etwa in Rüsselsheim mit jahrzehntelangem, fast 30%-Minderheitenanteil vergleichbare Erscheinungen wie in Hoyerswerda (0,4%) oder Rostock (0,7%) nie gegeben hat. "Wer gemeinsam an der Werkbank steht, ist sich nicht fremd."
Fremdheit überwindet sich also im Miteinander, während das Nebeneinander zu Konkurrenz und Gefährlichkeit/Gewalttätigkeit führt.

Dieses geforderte Miteinander würde sich in einem Integrationsprozess realisieren, worunter die Mehrheitsgesellschaft allerdings "Angleichung" versteht, in deren Folge die kulturelle Identität der Minderheiten verloren ginge.
Ein solches Verlangen der Mehrheitsgesellschaft steht jedoch nicht im Einklang mit den Garantien des Grundgesetzes, die den Staat und die Gesellschaft auf den politischen, ethnischen, sprachlichen und religiösen Pluralismus verpflichtet. 

Die Neubegrifflichkeit "multikulturell" täuscht über das Alter seines Inhalts hinweg, denn der verfassungsgebotene Pluralismus ist gleichbedeutend  "multikulturell" und die alternativlose Schlussfolgerung aus der nationalistischen Katastrophe des untergegangenen Deutschen Reiches.

Über die multikulturelle Garantie hinaus gebietet die Verfassung das Selbstbestimmungsrecht für die einzelne Person, also die Freiheit der individuellen Entscheidung und Perspektive.
Deshalb stehen alle gesellschaftlichen Gruppen in der grundgesetzlichen Pflicht zur gegenseitigen Toleranz und zur Toleranz gegenüber dem Individuum. Multikulturell darf deshalb auch nicht als statisches Nebeneinander von Kulturen gelebt werden, sondern muss den Menschen die Freiheit zur Konvergenz und zur Novation, zu qualitativ neuer Kultur gewähren.

Die Tagung zog die Schlußfolgerung für das Verhältnis von Juden und Muslimen in Deutschland, sich auch einander öffnen zu müssen, um solidarisch gegen die Fremdenfeindlichkeit zu bestehen und die verfassungsmäßigen Rechte durchzusetzen. 

Außenpolitische Brisanz

Trotz des Selbstverständnis als Minderheiten gemeinsam Deutsche zu sein, wirken gleichwohl in den Beziehungen zwischen deutschen Juden und Muslime die Konflikte des Nahen Ostens. So war diese Veranstaltung auch im Hinblick auf internationale Problemstellungen ein Beitrag zur Verständigung.

 

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Nachruf für Ignatz Bubis