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        Redaktion am 7.Mar.2003 15:56 
        
        Hallo Andreas,
        
        die Filtersysteme für konventionelle Kraftwerke haben sich in den
        letzten Jahrzehnten enorm verbessert.
        
        In der Energiepolitik geht es auch weniger um den Vergleich von
        Kohlekraftwerken und Atomkraftwerken, sondern um
        
        a) sparsamen Ressourceneinsatz, wovon wir in den Industrienationen mit
        unserer Wegwerf-Mentalität weit entfernt sind,
        
        b) Energieerzeugung, die wie Wasserkraft, Windkraft, Geothermik,
        Solarenergie, Biowärme, Wärmerückgewinnung, Wärmekopplung allenfalls
        in der Anlagenherstellung und Entsorgung Schadstoffe anfallen lässt.
        
        Die These, wonach ein GAU nur alle "100.000 Jahre" passieren könne,
        entstammt möglicherweise dem Werbeprospekt eines AKW-Herstellers, ist
        aber wissenschaftlich unsubstantiiert und würde auch bei
        Verifizierbarkeit bedeuten, dass sich mit jedem AKW die
        Katastrophenwahrscheinlichkeit erhöht ("100 AKWs = 1000
        Jahre", "1000 AKWs = 100 Jahre", 10000 AKWw = 10
        Jahre":-)
        
        In anderen "Studien" geht man von einem GAU-Risiko von
        "alle 1000 Jahre" aus. Da wäre es dann also schon gefährlicher.
        
        Solche Wahrscheinlichkeitsrechnung ist für eine Risiko-Kalkulation
        jedoch hoffnungslos unzureichend und irreführend, viel bedeutsamer ist:
        
        das Sicherheitsniveau der Anlagen ist höchst unterschiedlich; beginnend
        mit dem Bau unter Berücksichtigung von verschiedenster Sozial- und
        Umweltfaktoren (z.B. Nähe von Großstädten; Windrichtungen,
        Erdbebengebiete, Terrorismusgefahren, Luftverkehr), sodann auch
        wirtschaftliches Niveau der Betreibergesellschaften, also
        Wartungssicherheit, Konkurrenzdruck usw.usf.
        
        Sodann ist im unmittelbaren Vergleich von Energie erzeugenden Anlagen
        abzuwägen, welche Dimension Störfälle haben können.
        
        Zieht man zu einem solchen Vergleich die Störfälle von Tschernobyl und
        Taikamura heran, die jeweils noch auf bestimmten Leveln begrenzt werden
        konnten, so deutet sich die volkwirtschaftliche Unvernunft von Anlagen
        an, die ihren Investitionshorizont auf einen letztlich nicht haftenden
        Investor beschränken, der nur solange existiert, wie es
        "funktioniert" und sich im ausreichend großen Havariefall aus
        den Handelsregistern streichen lässt, während sich die Manager und
        Anleger zu anderen Ufern aufmachen.
        
        Das waren jetzt sehr prinzipielle Einwände gegen die industrielle
        Nutzung von Kernenergie, aber sie sind allein aus den letzten 20 Jahren
        hinreichend durch Geschehnisse belegt.
        
        Wobei Du bitte nicht übersiehst, dass ich "industrielle
        Kernenergienutzung" schrieb, denn im Maßstab der
        wissenschaftlichen Erforschung und der dazu genügenden Mini-Dimension
        von Anlagen oder auch nur noch Computersimulation stellt die Atomenergie
        ungleich geringere Risiken dar.
        
        Für die wirtschaftliche Nutzung der Atomkraft fehlt es den bisherigen Lösungen
        noch an jeglicher Genialität. Sie sind noch zu kompliziert im Verständnis
        und in der Realisierung. Der Durchbruch wäre erst in dem Moment
        gegeben, wenn die Sicherheit nicht mehr dadurch vergrößerte, dass man
        Kontrolltechnik auf Kontrolltechnik packt, sondern in der Basistechnik
        Vereinfachungen findet.
        
        Allerdings ist auch solche Forschung nicht ungefährlich, denn das
        Risiko der Wissensaneignung durch Leute, die damit Unsinn treiben, vergrößert
        sich mit jedem Labor, mit jeder kernphysikalischen Studie.
        
        Wir müssen uns also fragen, ob es sich rechnet, all diese Risiken
        beherrschbar zu machen oder ob nicht die intellektuellen und
        finanziellen Ressourcen von vornherein stärker in jene Bereiche fließen
        sollten, für die Risiko-Kalkulationen zu vollständig anders
        dimensionierten Ergebnissen kommen.
        
        Bei allem sollte Kernenergie nicht zur Glaubensfrage werden, das mit
        ewigen Ja oder ewigen Nein zu beantworten wäre, sondern eher zu den
        Fragen führen: Wie wirken sich die kurzsichtigeren Gewinnerwartungen
        auf die Energiemarkt- und Umweltentwicklung aus?
        Was lief schief und bedarf der Korrektur?
        
        Mit den Mrd. für die Atomenergie ließen wir uns auf den falschen Gaul
        setzen. Es war absehbar, von vielen auch tatsächlich gesehen, aber
        durch den Missbrauch des Themas im politischen Tagesgeschäft nur selten
        sachlich. Letztlich setzten sich die AKW-Investoren durch und ließen
        sich ein wenig zähmen, als das politische Risikoverständnis in
        Gesetzen und Verordnungen nachwuchs. - Aber nun stehen die Anlagen und
        die Betreiber mögen ihre Investitionsentscheidungen möglichst lang in
        der Rendite sehen. Wen kann da wundern, dass sie sich gegen Trittin
        wehren? Und wen kann wiederum wundern, dass Trittin nicht mehr
        herausholte, wenn er bei einem solchen Versuch seinen schönen Job
        verloren hätte?
        
        Ich habe da also für allerlei Verständnis und mag mich auch solcher
        Verdächtigungen nicht enthalten. Ich kann mich irren, wenn es um Motive
        geht, aber Gesagtes liegt so nahe, dass man es zumindest in Betracht zu
        ziehen hat.
        
        Markus Rabanus Redaktion 20030307